Pro Quote – Frauenquote im Journalismus

„Erst wenn genausoviel weibliche wie männliche Flaschen auf Chefposten sitzen, ist echte Gleichberechtigung erreicht.“ 

Gestern ging ein offener Brief an alle großen deutschen Chefredaktionen. Ab heute kann man sich online für die 30-Prozent-Quote von Journalistinnen in Führungsetagen aussprechen. Auch männliche Journalisten dürfen unterschreiben.

Was Unterschriftensammlung für 30 Prozent-Quote

Wer Die UnterzeichnerInnen und Du!

Wo im Internet, hier!


U-30-Party am Odeonsplatz – 16.000 Menschen bei Anti-ACTA-Demo in München

Tanzen und Hüpfen schien sehr wichtig auf der Münchner Anti-ACTA-Demo von gefühlt ausschließlich 12 bis 30Jährigen. Genauso wichtig natürlich auch die mit Popkultur und Rebel-Chic aufgeladene Guy-Fawkes-Maske, die auch den Höhepunkt der Demo bildete: die gemeinsame Vermummung.

Eine Aktion, die der Demo-Initiator Roland Jungnickel aus Rücksicht auf das Vermummungsverbot als Kunstaktion angekündigt hatte. Gemeinsam zogen sich die wenigen, die im Besitz einer der begehrten und ausverkauften Teile waren, die Masken vom Hinterkopf auf’s Gesicht. Dazu tanzten und hüpften die 16.000 Leute zum Kultsong „YMCA“ inklusive Choreographie, dafür auf „A-C-T-A“ umgetextet statt „Y-M-C-A“. Alles in allem also viel Feierlaune.

Dass die Guy-Fawkes-Maske dabei für viele Solidarität zu den Hackern von Anonymous und Freiheit im Internet ausdrück, war dabei wahrscheinlich nicht mal allen Anwesenden so ganz klar war. Das Publikum war für Demos völlig untypisch, schon allein wegen des Alters und schien vor allem Feiern zu wollen.

Wo die 16.000 Leute herkamen, zehn mal so viele wie angemeldet, und ob sie alle etwas mit ACTA anfangen konnten, blieb bis zuletzt unklar. Die Kritik an ACTA ist auch nicht leicht zu vermitteln. Das internationale Handelsabkommen soll eigentlich das Urheberrecht schützen, schafft praktisch aber die Technik zur komplexen Überwachung. ACTA verpflichtet unter Umständen Internetanbieter wie die Deutsche Telekom dazu, den Datenverkehr ihrer Kunden zu überwachen. Damit schafft es die Möglichkeit, Daten nicht nur zu überwachen, sondern im Zweifel auch zu kontrollieren. Kritik erfährt auch das undurchsichtige Zustandekommen des Vertrags durch eine Zustimmung im EU-Fischereirat. Der komplizierte Prozess bis zum tatsächlichen Inkrafttreten des Vertrags erschwert den konkreten Protest zusätzlich. Wahrscheinlich mussten auch wegen der Komplexität des Themas die VeranstalterInnen immer wieder Aufklärungsarbeit leisten.

Irgendetwas schien aber das für eine Demo völlig untypische Publikum dennoch zu fesseln. Die Partystimmung allein war es aber nicht. Vielmehr schienen sie hier eine innere Unzufriedenheit zu artikulieren. Am meisten Applaus erhielt schließlich auch Tarek, ein Redner, der nicht wie die anderen RednerInnen eine Partei oder Berufsgruppe vertrat, sondern als einfacher Bürger, heute hieß das „user“, vorgestellt wurde. Tarek sprach davon, dass er die Occupy-Bewegung unterstützen, endlich wirklich an der Demokratie teilhaben und sich nicht von Finanzmärkten beherrschen lassen wolle. Und das Publikum johlte, schrie und skandierte Stop-ACTA-Sprüche.

Vielleicht, so schien es, ist „Netz“ ja nur ein vordergründiges Thema für Protest in einer von den etablierten Themen und Strukturen desillusionierten Generation. Dahinter könnte eine neue Begeisterung für den Protest, aber auch eine in die breite Masse gehende Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Zuständen überhaupt zu stehen.

„Ich bin ein Ägypter“, schrie Tarek schließlich, „ich bin ein Grieche,“ und das Publikum johlte, „ich bin ein Russe“. Die internationale Solidarität mit aktuellen sozialen Protesten weltweit kam an. Die Rede ging in begeisterten „Tarek“-Rufen unter.


Queere Körper ohne queeres Bewusstsein – Vortrag zu Visual Kei im Gender Salon

Kann ich die Gesellschaft verändern, ohne das zu wollen? Diese Frage rankte sich rund um Nadine Heymanns Vortrag „Ich bin so’n Mittelding – Geschlecht und Körper im Visual Kei“.

So wie für die Berliner Studentin Nadine Heymann zu Beginn ihrer Feldforschung war auch für die meisten Leute im Publikum an diesem Abend nahezu alles über die aus Japan kommende Subkultur Visual Kei ziemlich neu. Welche Bands hört man in der Szene? Welche sozialen Netzwerke nutzt man? Was sind die Codes?

Nicht neu war das für zwei Leute aus der ersten Reihe, die sich bald als Visual Kei Fans zu erkennen gaben – vielleicht sogar noch für den ein oder anderen mehr, der oder die sich unter den knapp 30 Leuten in der Glockenbachwerkstatt aufhielt. Denn auch wenn die Kultur um Visual Kei vor allem aus einem unverkennbaren Styling besteht, sind seine Anhänger_innen im Alltag nicht unbedingt als solche zu erkennen. Skinny Jeans, Kajal um die Augen und aufgestellte Haare mit wechselnden Haarfarben tragen die meisten eher nur bei großen Szenetreffs wie dem „Bevis“ in Berlin, das mittlerweile drei Mal im Jahr stattfindet. Fans von Visual Kei, das 2005 in Deutschland populär wurde, sind im Schnitt zwischen 14 und 25. Einige von ihnen nennen sich in Anlehnung an ihre japanischen Idole „Visos“, andere lehnen diese Bezeichnung als unauthentisch ab.

Warum Visual Kei an diesem Abend im Gender Salon diskutiert wurde, einer monatlichen Veranstaltungsreihe des Gender-Lehrstuhls der Ludwig-Maximilians-Universität, war die Frage nach den Geschlechterrollen, die im Visual Kei auftauchen.

Denn Geschlechter sind im Visual Kei – anders als in vielen anderen Jugendkulturen wie dem Hip Hop – uneindeutig und wandelbar. Auf jeden Fall jenseits der Heteronormativität. Visual Kei Fans lehnen sich gern an das japanische Schönheitsideal des androgynen Mannes an und Homosexualität nicht kategorisch ab. Mädchen führen männlich kodierte Praxen aus wie Head Banging zu der meist an Metal angelehnten Musik. Je höher in der Hierarchieebene, je populärer die Protagonist_innen, desto stärker das Rollenspiel und schillernde Storys vom Spiel mit der Transsexualität.

Dabei haben – so die Analyse von Nadine Heymann  – die meisten Anhänger_innen von Visual Kei, anders als das gender-interessierte Publikum in der Glockenbachwerkstatt  – gar keinen Begriff von „trans“ oder „queer“. Visual Kei Fans haben eher nur ein Bild von sich als „nicht normal“, als „extrem“, als „abseits des Mainstreams“. Im Visual Kei ist man nicht politisch, man ist hedonistisch. Wovon die beiden anwesenden Vertreter_innen auch gern ein Beispiel gaben. Sie seien „einfach so“ dazu gekommen. Weil die Kultur „so offen“ sei, sie dort „sein können, wie sie sind“.

Viele Fragen taten sich auf. Kann man queer sein, ohne zu wissen, was queer ist? Kann man politisch handeln, ohne politisch zu denken? Wieviel autonomes Subjekt brauch ich für Subversion? Was haben Uneindeutigkeit und Neoliberalismus miteinander zu tun? Welche Rolle spielt der Konsum? Wie ist die Wirkungsrichtung? Suchen sich Jugendliche Visual Kei, weil sie dort queer leben können? Oder landen sie zufällig bei Visual Kei und lernen dort queere Praxen?

Leider konnten diese Fragen nur gestellt, nicht beantwortet werden. Weder von den Forscher_innen, noch von den Fans, die ihrerseits mit Skepsis die Sprache und Codes der Forscher_innen beobachteten. Ja, Visual Kei sei vielleicht „heteronormativ“ zögerten sie, sei vielleicht ein „Möglichkeitsraum“.

Auch ohne Antworten – ein gelungener Abend. Nicht zuletzt deswegen, weil hier die Forscher_innen bei der Forschung beobachtet wurden. Nämlich von den eigenen „Untersuchungsobjekten“. Auch so werden Verhältnisse geändert.


Langweilig und gefährlich – Christian Heller feiert die „Post-Privacy“

„Erst einmal in der Sichtbarkeit, sind Deine Tage gezählt.“ So schrieb das im Sommer 2011 das Unsichtbare Kommittee, ein Autorenkollektiv aus Frankreich, in seinem auch von bürgerlichen Medien wie SZ und FAS gefeierten Flugblatt „Der kommende Aufstand“.

„Erst einmal in der Sichtbarkeit, werden wir viel freier.“ So hingegen könnte das Fazit von Christian Heller klingen, dem selbsternannten Verkünder der Post-Privacy. Post-Privacy ist zunächst eine zutreffende Beschreibung unserer gegenwärtigen Gesellschaft, in der nicht nur wir selber den digitalen Exhibitionismus betreiben, sondern auch der Staat stille SMS verschickt, das iPhone Bewegungsprofile von uns anlegt, Google unsere sexuellen Vorlieben entschlüsselt und Facebook unsere Gesichter biometrisch vermisst. Post-Privacy ist für Christian Heller aber vor allem Lifestyle: „Prima leben ohne Privatsphäre“ lautet deshalb der Untertitel seines Buches.

Heller träumt darin naiv von einer transparenten Gesellschaft, in der jeder alles über jeden weiß. Privatsphäre sei heute im Gegensatz zu früher total überschätzt, Kontrollverlust hat enorme Vorteile, und wir müssen nur Taktiken entwickeln, die Gesellschaft noch transparenter zu machen.

Heller lässt große Namen fallen, spricht von dem französischen Philosophen und Poststrukturalisten Michel Foucault, zitiert den amerikanischen Soziologen Richard Sennett und lässt oft das Wort „Macht“ fallen.

Doch gerade die Machtfrage ist es, die Heller komplett unterschätzt. „Das ist total uninteressant“, findet deshalb zu Recht eine Zuschauerin im Anschluss an die Lesung und zuckt mit den Schultern. Doch „uninteressant“ heißt in dem Fall eher „gefährlich“. Denn es gibt keine Ordnung, ohne eine hegemoniale Ordnung. Auch unter vermeintlich Gleichen wird immer eine Partei die dominierende sein. Und seien es die  „rebellischen Datenguerilleros“, die Heller sich wie ein naives Kind erträumt, die Staaten und Privatunternehmen ebenfalls durchleuchten. Dass auch das ein elitärer Zirkel bleibt, der das Wissen und damit die Macht in Händen hält, verkennt er. Sepp Huber und Lischen Müller beobachten nicht, sie werden beobachtet.

Heller unterschätzt auch das Diktat des Mainstream. Angeblich fordere die totale Transparenz dann von der ganzen Welt mehr Toleranz, auch gegenüber Minderheitenmeinungen. Doch „dem Homosexuellen auf Jamaica bringt es nichts, dass er einen ebenfalls homosexuellen Freund in New York hat, wenn seine Nachbarn in Jamaica in wegen seiner Homosexualität umbringen.“, kontert ein Zuschauer. Minderheiten brauchen Rückzugsräume, brauchen queer-feministische Wagenplätze oder Gay Nights in der Großstadt. Minderheiten brauchen Räume der Gegenhegemonie. Räume, in denen sie ihre Ansichten zunächst erproben und erst in einem nächsten Schritt nach draußen an die Öffentlichkeit treten.

Rückzugsräume für eine Gegenöffentlichkeit gibt es in Hellers Post-Privacy-Utopie nicht. Das ist nicht nur langweilig, sondern gefährlich.


Digital ist besser? – Wie 1en und 0en den Zufall ausschalten, und so auch uns

Ein echtes „Ereignis“, also zum Beispiel Liebe oder die Revolution, ist ein Vorgang, der vorher nicht gedacht werden kann, „etwas, das nicht ins unmittelbare Gesetz der Dinge hineinpasst.“ So der französische Philosoph Alain Badiou. Wenn die unmittelbaren Gesetze der Dinge aber wie heutzutage die Programmierung von Abläufen und die Digitalisierung unseres Lebens vorsehen, wenn also die Gesetze nur noch vorgegebene Denkmuster und Handlungsoptionen zulassen, nur noch die Entscheidung zwischen 1 und 0, wenn unsere Welt nur auf ein entweder/oder programmiert ist, kann es dann noch zu echten Ereignissen kommen?

Dabei geht es nicht nur um ästhetische oder romantische Bedürfnisse nach Ganzheit, wie die Frage, wo die Zwischentöne in einem Song mit 320 kbps bleiben, wo das eigentliche Bild erscheint bei 310×413 Pixeln, und wo die zufällige Bekanntschaft bei der Partnersuche über singles-munechen.de. Sondern es geht auch um eine existentielle Frage:

Kann sich eine Gesellschaft weiterentwickeln, wenn sie den Zufall zunehmend verdrängt?

Die Menschheit hat sich nach der Evolutionstheorie zu dem entwickelt, was sie heute ist, weil es zufällige Mutationen im Erbgut gab, die sich später per Selektion durchgesetzt haben. Wenn wir die Digitalisierung in immer mehr Bereiche unseres Lebens vordringen lassen, geben wir dem Zufall und damit den Entwicklungspotentialen immer weniger Raum. Mehr Einsen udn Nullen heißt also weniger Entwicklungspotential.  1 + 0 = 0 (Ereignisse). Wissenschaftlicher Fortschritt, also nicht nur eine Verbesserung von Methoden, sondern tatsächlicher Erkenntnisgewinn wird begrenzt, wenn sich unsere Programme nur innerhalb des Denkbaren aufhalten. Etwas Neues, Unerwartetes, Unberechenbares kann so nicht entstehen. Ein badiou’sches Ereignis ist „subversiv und dem Gesetz fremd“.

Und Zufall lässt sich leider dem Begriff nach nicht programmieren.


40 Jahre ak – mit neuem Design und neuem Anspruch

analyse & kritik (ak) ändert anlässlich des 40. Jubiläums (Film von leftvisison) in der aktuellen Ausgabe Nr. 566 ihr Design und ihre Ansprache.

Zum einen, weil die „Zeitung für linke Debatte und Praxis“ eine verständliche Sprache spricht. In Kontrast zu anderen linken Zeitungen und Magazinen, die sich in einer kodifizierten Sprache aus Namedropping, Fremdwörtern und Schachtelsätzen gern Gleichgesinnten, mindestens aber Gleichgebildeten andienen und so durch Absonderung Identifikation erzeugen. Die ak wählt stattdessen nach journalistischen Grundprinzipien einfache Worte und erklärt Fremdwörter, wo sie nötig sind, in Fussnoten. So kann man ak-Artikel schon beim ersten Mal Lesen und auch mit nur 75-prozentiger Konzentration verstehen.

Zum anderen strukturiert sie sich klarer. Passend zum Vorsatz, einen breitenwirksamen „Beitrag zur Formierung einer außerparlamentarischen Linken in der Bundesrepublik“ zu leisten, legt die Redaktion der aktuellen Ausgabe  Nr. 566 auch gleich eine ak-Bedienungsanleitung bei: In den Büchern „Politik“, „Bewegungen“ und „Gesellschaft“ wollen die AutorInnen jeweils „Politik von oben“, „Politik von unten“ sowie die „verborgenen Mechanismen der Macht“ der Kulturproduktion dechiffrieren, deuten und dirigieren.

Danke. In ihrer Klarheit ist diese neue Aufmachung eine echte Bereicherung.


Schöne RSA zu Slavoj Žižek

Schöne RSA. Diesmal spricht Slavoj Žižek über die traurige Illusion, dass wir mit Charity-Aktionen, Fairtrade-Coffe und Bio-Obst die Welt verändern.